Mhanadistan Briefspiel
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Von den Novadis

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Beitrag  Alrik Sa Mai 01, 2010 10:38 am

Nach Einschätzung der Völkerkundler zählen zu den Novadis all jene Stämme, die in und um die Wüste leben und sich zum Glauben an den Eingott Rastullah bekehrt haben. Aus ihren Reihen kommt die herrschende Klasse um den Kalifen, sie sind das Rückgrat seiner Macht. Aber auch 250 Jahre nach dem Erscheinen ihres Gottes lebt ein wesentlicher Teil der Novadis noch als Nomaden in oder im Umland der Wüste.
Den alten Märchen zufolge besiedelten die Vorfahren der Novadis die Wüste auf das Geheiß Rastullahs, um die Geheimnisse der Wüste zu hüten, während er sich zur Großen Ruhe legte.

Ein Leben auf Wanderschaft

Etwa die Hälfte der Novadis führt auch Heute noch ein nomadisches Leben in Wüste und Steppe. Die Sippen ziehen mit ihren Pferden und ihrem Vieh auf uralten Routen durch die Wüste, von Wasserloch zu Wasserloch. Der größte Reichtum liegt denn auch in ihren Tieren. Das Pferd, oft in Märchen hochgerühmt und als treuester Freund des Menschen gepriesen, ermöglicht ihm die rasche Fortbewegung; das anspruchslose Kamel ist unersetzlich bei der Durchquerung trockenster Wüsteneien; die Schafe und Ziegen schließlich liefern die Milch, die – neben Hirse – der Hauptbestandteil der novadischen Ernährung ist. Diesen Besitz zu schützen, ist dem Novadi das Wichtigste und so kennt er für Viehdiebe auch nur eine Strafe: den Tod.
Neben der Viehhaltung gibt es nur wenige Erwerbsquellen für die Nomaden der Wüste – außer dem Raub. Denn das Berauben der Handelskarawanen ist allgemeiner Brauch in der Wüste und gilt keineswegs als unehrenhaft. Doch hat man sich hier unter einem Überfall nicht vorzustellen, daß die Novadis sämtliche Begleiter der Karawane niedermachen und mit allen Waren verschwinden – zu unangenehm wären die unausbleiblichen Folgen, nämlich daß die Händler das Gebiet des Stammes künftig meiden. Nein, bei einem echt novadischen Überfall ist es meist so, daß eine Horde von Berittenen laut schreiend heranstürmt, ziellos Pfeile abfeuert und die Karawane zum Halten zwingt. Danach führt der Hairan ein langes Gespräch voll wilder Gesten und Drohgebärden mit dem Karawanenführer, bis sie sich auf eine angemessene Zahlung geeinigt haben: Die Wüstensöhne erhalten kostbaren Tee, Zucker, Eisen und anderes, für das sie sonst teuer mit Tieren bezahlen müßten, die Kaufleute aber haben ihren „Wegzoll“ entrichtet und werden auch beim nächsten (oder zumindest übernächsten) Mal wieder die Piste nehmen.
In der Zeit der Wanderschaft leben die Novadis ausschließlich in Zelten. Diese Zelte (novadisch ‘Aram‘) werden von den Novadis meist aus dem Filz ihrer Schafe und Ziegen hergestellt, es finden sich aber auch Stämme, die Lederzelte bevorzugen. Ein echtes novadisches Zelt ist fast immer groß genug für zwanzig Leute und wird von einem Mittelpfosten und vier Seitenpfählen getragen. Diese Pfosten sind reich mit Schnitzereien oder Bemalungen verziert und neben den Kriegslanzen meist die einzigen größeren Holzgebilde, die die Wüstenreiter mit sich führen. Viele Bewohner der Wüste vererben diese Holzpfähle über Generationen, da sich das Holz in der trockenen Wüstenluft gut hält, und verehren sie als Wohnsitz der Ahnengeister. Deshalb verwenden sie die alten Pfosten, bis das Zelt jeden Moment über ihnen einzustürzen droht – und muß ein Pfosten doch einmal erneuert werden, wird der alte wie ein menschlicher Toter ehrenvoll bestattet. Der Novadi gebraucht den Begriff ‘Aram‘ oft auch um seine Familie zu bezeichnen – das tulamidische Wort “Harem“ hat sicherlich dieselbe Wurzel.

In der Zeit der Regenfälle beenden die Novadis allerdings ihr Wanderleben und suchen meist ihre heimatliche Oase auf. Dort versuchen sie, dem kargen Boden Früchte zu entlocken, die für die restliche Zeit reichen müssen. Vor allem Hirse, zuweilen auch Melonen werden auf den Feldern angebaut, dazu werden die Haine mit den Obstbäumen und Dattelpalmen gepflegt und abgeerntet.
Die meisten Sippen leben auch in dieser Zeit in ihrem ‘Aram‘, manche der reicheren Stämme haben aber auch feste Bauten, die sie aus großen Lehmziegeln errichten. Aus dem gleichen Material besteht auch der Funduq, den fast jede Oase besitzt: ein großes Gebäude in der Mitte des Oasendorfes, das sowohl als Speicher für die Vorräte wie auch als Fluchtburg dient, in die sich Frauen und Kinder während eines Stammeskrieges zurückziehen können.
Während der Funduq in den meisten Oasen in Friedenszeiten unbewohnt ist und nur zahlreiche Räume für Hirse, Räucherfleisch und Datteln sowie einzelne Lagerkammern für die Habseligkeiten jeder Sippe enthält, gibt es in manchen Oasen auch Funduqim mit prächtigen Wohnräumen für den Scheich des Stammes, der dort wie ein Monarch regiert. Stämme, die sich so behandeln lassen sind allerdings selten unter den Novadis und werden von den übrigen Wüstenreitern mit Verachtung behandelt.

Aussehen

Bei den Novadis gibt es eine Vielzahl von Kriterien, die über die Schönheit eines Menschen entscheiden:
So soll der Novadi sein “von schlanken Wuchs wie die Dattelpalme, mit tiefschwarzem Haar und langem Bart, kühn blickenden Augen wie die des Falken, kräftiger, scharfer Nase als wie der Schnabel des Adlers und glatter Haut von der Farbe milchigen Tees.“ Natürlich erfüllen nicht alle Novadis diesen Anspruch, doch sie hören es gern, wenn man sie so beschreibt.
Für die Fremden ist es vielleicht am auffälligsten, welche Bedeutung die Novadis der glatten und hellen Haut beimessen: Zwar herrscht der Typ des sonnengegerbten Wüstenreiters mit unzähligen Fältchen eindeutig vor – als schön gilt er den Novadis jedoch nicht. Daher legen bei manchen Sippen auch die Männer einen Schleier an, um so beim Ausritt vor Sonne, Wind und Nachtfrost geschützt zu sein – doch andere Stämme verspotten sie dann wegen ihrer Eitelkeit.
Bei den Frauen legen jedoch alle Novadis größten Wert auf ungebräunte, fast milchigweiße Haut, langes tiefschwarzes Haar und runde, weiche Formen – Zeichen für den Wohlstand eines Mannes, der seine Frauen nicht im Sonnenlicht arbeiten lassen muss. Um die Helligkeit der Haut zu betonen, ziehen die Frauen mancher Stämme mit Kohlenruß dunkle Linien unter die Augen.

Sippen und Stämme

Die grundlegende Einheit aller wandernden Novadis ist die Sippe: die Gemeinschaft von etwa 40 bis 80 verwandten Männern, Frauen und Kindern. Die Sippenzugehörigkeit spielt im Leben des Novadi eine überaus wichtige Rolle. In Notzeiten muß er der Sippe stets unter Einsatz seines Lebens helfen, doch kommt er selbst in Not, kann er sich auch auf die Unterstützung seiner Sippenbrüder verlassen. Eine logische Konsequenz aus dieser Haltung ist das eherne Gesetz der Blutrache, das von jedem Sippenmitglied befolgt werden muss. Wer dagegen einen Sippenbruder verletzt oder auch nur übervorteilt, wird bei den meisten Stämmen seiner Stammeszeichen beraubt – die Schmucknarben werden ausgebrannt! – und für immer verbannt.
Geführt wird die Sippe von einem Hairan, dessen Wort Gesetz ist über Leben und Tod. Denn in der tödlichen Wüste ist wenig Zeit zum Debattieren, und die kleinste Streitigkeit kann die ganze Sippe das Leben kosten. Die Mehrzahl der Stämme kennt allerdings die Möglichkeit, daß die Gesamtheit der übrigen Männer der Sippe einen tyrannischen Hairan seines Amtes enthebt. Ein neuer Hairan wird stets am letzten Tag des novadischen Jahres gewählt.
Eine besondere Rolle spielt der Hairan für die Töchter der Sippe: Er ist es, der über die korrekte Behandlung jener Frauen wacht, die in andere Sippen eingeheiratet haben.
Etwa fünfzehn bis fünfundzwanzig Sippen bilden jeweils einen Stamm, der sich allerdings nur während der Zeit der Regenfälle in der Oase, dem gemeinsamen Besitz aller Sippen, versammelt. Dann steht über den Hairani noch der Scheich, der die Oberherrschaft über Stamm und Oase hat und alle Streitigkeiten zwischen den Sippen regeln muss, soll keine mörderische Blutrache ausbrechen.
Oft wird der Scheich von den Hairani der Sippen gewählt, manchmal auf Lebenszeit, manchmal auch nur für ein Jahr ( auch hier stets am Fünften Rastullahellah).
Gemäß den alten Überlieferungen gehören jeweils zwei bis vier Stämme wiederum enger zusammen und bilden damit einen der neun Stammesverbände, die es bei den Novadis gibt. Ein solcher Verband umfasst mehrere Oasen und steht unter der Herrschaft eines Sultans. Ein Sultan fungiert bei den freien Novadis in erster Linie als Schiedsrichter bei Streitigkeiten sowie als Verbindung zum Kalifen: Denn für die Verwaltung hat der Hof des Kalifen die Wüste in neun Sultanate eingeteilt, deren Grenzen denen der Weidegebiete der Großstämme entsprechen. So ist es auch der Sultan, der im Kriegsfall das Heer sammeln und dem Kalifen zuführen muss.

Wenn früher, vor dem Erscheinen Rastullahs, die Gesamtheit der Wüstennomaden bedroht war, schlossen sich die Stammesverbände manchmal unter einem gewählten Anführer zusammen, dem Kalif, der dann die oberste militärische Gewalt besaß und die Unternehmungen der einzelnen Stämme und Sippen zu koordinieren versuchte. Nach Ende der jeweiligen Krise erlosch allerdings auch das Amt des Kalifen – bis der novadische Heerführer Malkillah den Titel annahm und erblich machte.

Waffen und Rüstungen

Die Novadis können sich ein Gefecht eigentlich nur als Aufeinandertreffen von Berittenen vorstellen, die mit lautem Kampfgeschrei gegeneinander anrennen. So ist denn auch die Lanze die Hauptwaffe der Novadis. Der Krieger fertigt sie oft selbst aus dem biegsamen und zugleich festen Holz der Khoramzeder und verziert sie mit allerlei Wimpeln, bunten Bändern und Bemalungen.
Die Wimpel dienen zum einen beim Sturmangriff als eine Art Flügel der Lanze und sorgen für leichtere Tragbarkeit, zum Zweiten verhindern sie das allzutiefe Eindringen der Lanze in die Wunde des Gegners. Vor allem dienen die verschiedenen Anhängsel aber als persönliches Erkennungszeichen des Kriegers und sind insofern vergleichbar mit den Wappen der mittelländischen Ritter.
Zusätzlich zur Lanze verwenden die Novadis die leicht gekrümmten Reitersäbel im Khunchomer Stil, die sie auch benutzen, wenn sie aus irgendeinem Grund – z.B. in einem Duell – zu Fuß kämpfen müssen. Auch Leibgarden hoher Herren (etwa des Sultans) tragen den Khunchomer. Die Offiziere der Garde bevorzugen allerdings den Doppelkhunchomer, der zweihändig geführt wird.
Heutzutage stammen die meisten metallenen Waffenteile wie Khunchomerklingen und Lanzenspitzen aus tulamidischer Fertigung und werden von den Novadis nur mit Griffen und Schäften im eigenen Stil versehen.
Eine Ausnahme bilden nur die Klingen der berühmten Zierdolche namens Waqqif, zu denen ein Novadi eine besondere Beziehung hat: Sein Dolch, den er bei der Mannwerdung erhält und den er bis zu seinem Tod trägt, muss von einem Schmied der eigenen Sippe oder zumindest des Stammes hergestellt sein. Ein Waqqif wird vor allem beim Essen, als Werkzeug und im Zweikampf eingesetzt – und um sterbenden Gegnern den Gnadenstoß zu versetzen.
Wer sein Waqqif verkauft oder anders fortgibt, gilt als unehrenhaft und wird bei manchen wilden Stämmen gar aus der Sippe ausgestoßen. Eine Ausnahme bildet nur die Zeremonie der Blutsbrüderschaft, bei der die beiden Novadis auch feierlich ihre Waqqifim austauschen.
Neben Lanze, Khunchomer und Waqqif benutzen viele Novadis auch Pfeil und Bogen – doch manche unter den Wüstenkriegern erachten diese Waffe als unwürdig und wenig ehrenhaft.
Als Schutz verwenden Novadis hauptsächlich den spitz zulaufenden und oft von einem Pferdeschwanz gekrönten Helm, den sie zusätzlich noch mit einem Turbantuch umwickeln. Manche Novadis tragen auch kleine Reiterschilde, während sich andere vor allem auf ihre Geschicklichkeit und Rastullahs Hilfe verlassen.
Der Gebrauch von Rüstungen schließlich ist unter den Novadis nicht besonders verbreitet – schon allein, weil sich viele ein spezielles, kostspieliges Kleidungsstück für Kriege kaum leisten können. Deshalb trägt der normale novadische Kämpfer nur seine gewohnte Kleidung und darunter allenfalls ein leichtes Lederkoller, das Brust, Unterleib und Oberschenkel bedeckt. Nur die wohlhabenderen Krieger können manchmal ein Kettenhemd tulamidischer Fertigung aufweisen. Ein Plattenpanzer oder gar eine Ritterrüstung wäre in der Wüste etwa so sinnvoll wie eine Kamelquadriga auf Grönland!

Stammestreffen

Die wichtigste Zeit im Jahr ist für den Novadi die Stammesversammlung (Chorbash) in der heimatlichen Oase. Dies ist der richtige Termin für Viehhandel, Pferdemarkt und das Verabreden von Eheverbindungen zwischen den Stämmen. Dann ist die Oase erfüllt mit der Musik der Dablas, Bandurrias und Kabasflöten. Ziegen, Schafe und Kamele werden geschlachtet und über großen Feuern gebraten, der Dattelwein aus dem Vorjahr ist gerade reif. Will man ein Chorbashfest wirklich loben, so sagt man es habe nichts anderes gegeben als “Fleisch, Tanz und Wein“.
In dieser Zeit werden auch die Tribute zusammengestellt, die man dem Kalifen im fernen Mherwed schuldet. Die Besteuerung ist neben dem Ausheben von Kämpfern in Kriegszeiten das einzige Recht, das man dem Monarchen zugesteht: In innere Angelegenheiten der Wüstenstämme mischt sich auch ein Kalif nicht ein!
Etwas anders verhält sich das natürlich in den größeren Oasensiedlungen und Städten: Hier hat das Wort des Kalifen durchaus hohes Gewicht. Ansonsten aber halten die Novadis auch hier an ihrer alten Lebensweise fest: Auch die großen Oasen und selbst Unau sind in der Trockenzeit fast unbewohnt.


Heirat

Wie schon angedeutet, spielt der Heiratsmarkt für den Novadi eine große Rolle. Wenn sich für eine junge Frau bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr keine Interessenten gefunden haben, wird sie von ihrem Vater laut schreiend angepriesen, wobei er ihren echten oder angeblichen Vorzüge wie Gehorsam, Arbeitswilligkeit und Schönheit hervorhebt.
Für die meisten Mädchen sieht es allerdings so aus, daß sich die Brauteltern irgendwann einmal zusammenfinden und die Ehe und die damit verbundenen Zahlungen von Sippe zu Sippe aushandeln. Die Beteiligung des Brautpaares an dieser Abmachung ist von Stamm zu Stamm unterschiedlich: Bei manchen Stämmen muss die Braut zu stimmen, bei anderen nur der Bräutigam, vielerorts aber ist es eine Abmachung der Eltern.
Andere wichtige Elemente einer Hochzeitsfeier neben reichhaltigen Gelagen sind der Austausch der Geschenke, das Überreichen des Brautpreises durch den Bräutigam, das der Mitgift durch den Hairan der Braut und das zusammenbinden der Hände des Brautpaares mit einem reichbestickten Tuch aus goldgelber Phraischaf-Wolle. Dieses Akkharid genannte Tuch wird später im Zelt des Paares aufbewahrt. Es wird beim Tod eines der Ehegatten oder bei einer Trennung zerschnitten oder zerrissen, so daß der Ausdruck “unser Akkharid ist zerrissen“ zum festen Bestandteil der novadischen Sprache wurde.
Die Möglichkeiten, eine Ehe aufzulösen, sind übrigens recht beschränkt: Ein Mann kann seine Frau nur verstoßen, wenn sie unfruchtbar ist oder ihn zugunsten ihrer Sippe bestiehlt. Die Frau darf den Mann verlassen, falls er ihr eine andere Gemahlin deutlich vorzieht, Streitigkeiten unter seinen Gattinnen nicht schlichten kann, oder wenn ihre Sippe mit der seinen eine Fehde beginnt.
Was die Zahl der Frauen angeht, reicht die erlaubte Anzahl bis zu acht Frauen: neun Frauen darf nur Rastullah haben, denn den Menschen ist der geschlechtliche Umgang am achten Tag untersagt. In der Praxis haben allerdings nur die Wenigsten mehr als drei Frauen, denn der Mann muss jederzeit vor den Hairani seiner Frauen nachweisen können, daß er alle Gemahlinnen auch ernähren kann. Ansonsten darf ihn die jüngst erworbene Gattin verlassen und gilt als verwitwet. Selbst diese Verteilung der Frauen führt aber noch dazu, daß viele Männer ledig bleiben müssen. Kein Wunder, daß sie sich kopfüber in Stammesfehden und Rastullahs Kriege stürzen: Ein Leben ohne Familie gilt als Unglück und Zeichen für Rastullahs fehlende Gunst!

Geburt und Kindheit

Wenn eine Novadi ein Kind erwartet, kommen alle Frauen der Sippe zusammen und warten vor dem Zelt, bis das Geschlecht des Neugeborenen bekannt ist: Ist es ein Mädchen, feiern sie im kleinen Kreis mit der Mutter, ist es aber ein Junge, wird rasch der Vater herbeigeholt, der (nach seinen Möglichkeiten) ein rauschendes Fest für die ganze Sippe gibt. Bei dieser Feier darf dann auch die Mutter mit den Männern zusammen speisen, denn sie muss ja dafür belohnt werden, daß sie einen Sohn geboren hat – so jedenfalls sehen es die Novadis.
Bei der Namensgebung nehmen die Novadis entweder Bezug auf Eigenschaften, die sie dem Kind wünschen, oder sie verwenden den Namen eines bekannten Vorfahren (oft den des Urgroßvaters), so daß sich die Namen in einer Sippe alle paar Generationen wiederholen. Gleichzeitig mit der Namensgebung wird ein Neugeborener in die Sippenrolle eingetragen: eine Kamelhaut, eine Zeltbahn oder ein Zeltpfosten, in dem der Name oft in einfache Bilder übersetzt wird. (Lesen können die meisten Novadis natürlich nicht.)
Übrigens, so patriarchalisch die Novadis sonst sind: Wenn es um die Stammesangehörigkeit eines Mischlings geht, entscheidet nur die Mutterschaft. Der Sohn eines Novadi-Mannes mit einer Fremden bleibt ein Fremder, selbst wenn er im Zelt eines Scheichs zur Welt kommt; eine Blutsbrüderschaft mit seinem leiblichen Vater und dessen Söhnen sobald er mannbar geworden ist, ist die einzige Möglichkeit seine Geburtsrechte zu nutzen. Das Kind einer Novadi-Frau dagegen gehört, falls ihr Gatte die Vaterschaft leugnet oder falls sie ledig oder mit einem Ungläubigen verheiratet ist, zu ihrem Stamm.
Normalerweise lebt das Kind in seinen ersten neun Lebensjahren bei seiner Mutter und lernt all die dinge, die für das Leben in der Wüste wichtig sind. In den folgenden fünf Jahren werden Mädchen auf die Ehe vorbereitet, während die Jungen unter die Obhut des Vaters oder eines Oheims kommen und in den Kriegerkünsten unterwiesen werden.
Ein besonderes Ereignis im Leben eines Mädchens ist der Tag des Schmucks nach Ablauf des fünften Lebensjahres: In einem feierlichen Ritual werden der kleinen im Beisein des Vaters und Stammesältesten von der Mutter oder einer älteren Schwester die Ohren und der linke Nasenflügel durchstochen und der erste Schmuck angelegt. Erweist sie sich bei der schmerzhaften Prozedur als besonders stolz und tapfer, so wird sie, wenn sie neun geworden ist, wie ein Knabe in die kriegerischen Künste eingeführt, um vielleicht später einmal als Achmad’sunni die Ehre der Familie verteidigen zu können.
Mädchen gelten nach ihrem vierzehnten Geburtstag als ehefähig, die jungen des Stammes müssen sich noch einer längeren Zeremonie unterziehen: Bei der alljährlich zur Zeit der Stammesversammlung abgehaltenen `Amadah` kommt es zu Reitwettbewerben und fingierten Überfällen auf andere Sippen, bei denen die Kinder ihr Talent und ihre Tapferkeit unter Beweis stellen müssen.
Wer sich dabei als Mann bewährt hat, bekommt zum ersten Mal in seinem Leben eine Portion des visionenerzeugenden Rauschkrautes Cheriacha. In dem nun folgenden Traum erfahren die Jungmänner ihre wahre Berufung und – nach dem Glauben mancher Stämme – ihren wahren Namen, unter dem Rastullah sie kennt.
Bei den meisten Stämmen gelten die Jungen danach bereits als Männer, bei anderen kommt es noch zur Einritzung der rituellen Stammeszeichen auf Stirn und Wangen.

Blutsbrüderschaft

Von zumindest gleicher Wichtigkeit wie seine Hochzeit ist es im Leben eines Novadi, wenn er mit einem Freund Blutsbrüderschaft schließt; für viele junge Männer bleibt letztere Zeremonie ohnehin die einzige. Bei der Zulquh mischen die beiden Novadis ihr Blut und schwören sich lebenslange Treue. Danach gelten sie als Brüder, mit allen Folgen: So wird der Wüstenreiter auch Mitglied der Sippe seines Blutsbruders und unterliegt all deren Verpflichtungen. Zahllose Märchen erzählen von Heldentaten, die ein Novadi für seinen Blutsbruder verrichtete oder schildern die Tragödien, wenn beider Sippen in eine Fehde gerieten. Sehr häufig versprechen die Blutsbrüder einander auch, ihre oft noch zu zeugenden Kinder miteinander zu vermählen, falls sie verschiedenen Geschlechts sein werden.

Bestattung

Der Tote wird in einer Art bestattet, die ihn dem Himmel besonders nahe bringen soll. Er wird auf natürlichen Felstürmen, wie man sie häufig in der Khom findet, oder auch auf von Hand aufgeschichteten Steinhaufen niedergelegt. Diese berüchtigten ‘Türme des Schweigens‘ haben also nur in der unwissenden Beschreibung durch Fremde Ähnlichkeit mit den Baumbestattungen. Allerdings mag ein ähnlicher Hintergedanke mitspielen: Bei dieser Bestattungsform ist es nicht nur unvermeidlich, sondern sogar erwünscht, daß der Tote den Tieren des Himmels – Geiern, Raben und anderen Vögeln – als Nahrung dient. Das Aufgehen des Leichnams in diesen Tieren wird als Weg zu Rastullah verstanden.
Grabbeigaben sind ausgesprochen selten und beschränken sich meist auf Kleinigkeiten – wie sollte sie der Tote bei der beschriebenen Fahrt ins Jenseits auch mitnehmen? Waffen und Pferde werden traditionsgemäß den Söhnen übergeben, üblicherweise wird der Erbe durch ein Wettrennen oder einen Zweikampf ausgewählt. Frauen werden gar nicht selten in der Sippe weiterverheiratet, besonders wenn sie von einer anderen Sippe stammen; der Brautpreis wurde bezahlt, warum sollte man sie also zurückgeben?

Kriegsführung

Ein Kriegszug der Sippen und Stämme der Novadis ist ein farbenprächtiges Schauspiel von Mut, Stolz und reiterischem können, denn fast alle Gefechte zwischen Novadis sind Reiterschlachten.
Ein novadischer Angriff sieht in der Regel so aus, daß nach dem anfänglichen Pfeilhagen eine breite Reihe von schreienden Reitern mit eingelegter Lanze heranprescht. Wer als Gegner nach dem ersten Ansturm noch auf seinem Pferd sitzt oder auf den Beinen steht, wird entweder erneut mit der Lanze oder mit dem Khunchomer angegriffen.
Es gehört übrigens zum Brauchtum vieler Novadistämme, Fremde mit einem inszenierten Sturmangriff zu begrüßen. Verhalten sich die Neuankömmlinge ruhig und gelassen, werden sie hoch in der Achtung der Gastgeber stehen, während solche, die feige zu fliehen versuchen, verspottet und mancherorts wirklich tätlich angegriffen werden.
Für einen Novadi ist es übrigens keineswegs unehrenhaft, als Reiter einen Fußkämpfer anzugreifen: Kann er etwas dafür, wenn der Feind zu dumm ist, sich ein Pferd zu besorgen?
Für die Kämpfer der Wüstenstämme gibt es kaum ein Rangsystem: Die Kämpfer einer Sippe werden vom Hairan in den Kampf geführt, über dem noch der Scheich oder gar ein Sultan Befehle geben – doch letztendlich kämpft ohnehin jeder auf eigene Faust und ohne sich um eine Schlachtordnung zu scheren.

Reitkunst

Die Beziehung der Novadis zu ihren Pferden ist geradezu sprichwörtlich: In weniger als zweitausend Jahren sind die Wüstennomaden mit ihren Reittieren zu einer Einheit zusammengewachsen. Wer einen Novadi bewundert, wenn er vorbeigaloppiert, sich halsbrecherisch vom Pferd stürzt, auf es springt oder säbelschwingend vom Sattel hängt, denkt kaum daran wieviel Disziplin das Pferd dabei mitbringen muß. Darüber hinaus lassen sich die meisten Tiere durch Pfiffe herbeirufen oder in andere Richtungen dirigieren. Sie können stundenlang reglos ausharren, zuweilen sogar an der Seite ihres Herren im Sand vergraben, wenn es Sandsturm, Hitze oder die Nähe von Feinden verlangen. Und natürlich gibt es zahllose Märchen von verletzten oder gefangenen Novadi-Helden, die ihr Roß ins väterliche Lager schickten um Hilfe zu holen.
Besonders die echten Shadif aus der Gegend von Unau gelten als wertvollster Besitz des Novadi. Sie sind bekannt schwer abzurichten, doch wem es gelingt, zu dem stehen sie in unverbrüchlicher Treue.
Die Novadis können sich vor allem bei den Stammestreffen tagelang mit Reiterspielen beschäftigen. Jede Sippe kennt ihre eigenen Spiele. Eines der bekanntesten wird Sindaqa (in etwa “Schlangenstechen“ genannt: Dabei werden mehrere konzentrische Kreise in den Sand gezogen, häufig in die Mitte eine Schlange gezeichnet. Die Teilnehmer müssen in vollem Galopp daran vorbeisprengen und dabei einen Dolch möglichst in die Mitte der Kreise schleudern.

Rastullah

Beherrschendes Element im Leben eines Novadi ist der Glaube an den Gott Rastullah, der sich selbst offenbart hat. Daß der in Keft herabgestiegene Gott fürwahr der mächtigste aller Götter und Herr und Schöpfer der Welt ist, wird von keinem Novadi bezweifelt. Ebenso wenig bestreitet jemand die absolute Verbindlichkeit der 99 Gesetze, die Rastullah den Beni Novad gab.
Alles darüber Hinausgehende ist allerdings umstritten – und wenn ein Novadi streiten sagt, meint er streiten: Schon oft kam es zu blutiger Fehde zwischen verschiedenen Stämmen, die sich nicht auf die Auslegung eines Nebensatzes in einem der Gesetze einigen konnten...

Basis der Religion sind also die 99 Gesetze, die den Großteil von Rastullahs Offenbarung an jenem schicksalhaften Tag ausmachten. Leider enthält die einzige Aufzeichnung, das Heilige Buch “Rastullah in Keft“ von Hahmud Dhach´gamin, keine Angaben über die Gesetze. Die ersten schriftlichen Niederlegungen wurden – was Wunder bei einem Nomadenvolk – erst Jahre später gemacht. Das Buch, das heute (größtenteils) als verbindlich angesehen wird, “Also spricht Rastullah“, wurde erst 30 Jahre nach Rastullahs erscheinen von dem Erstem Mawdli ar Yerhani in Unau diktiert und wurde auch als erstes in den 19 Geheiligten Glyphen geschrieben.
Hier nun ein Überblick über die Bekannteren der 99 Gesetze:
Im 1. bis 10. Gesetz wird der besondere Kalender der Rastullah-Gläubigen niedergelegt, mit der neuntägigen Woche (Gottesnamen genannt), und der Einführung der fünf Rastullahellahs, um die 365 Tage des Jahres abzudecken.
Das 14. bis 20. Gesetz sind die berühmten und viel belächelten Nahrungsvorschriften, an denen vor allem sich die Geister der Novadis scheiden; laut dem 24. Gesetz dürfen die Novadis nur reines Geschirr verwenden.
Dann folgen fast zwei Dutzend Gesetze zu Charakter und Verhalten, von denen das 41. und 42. Gesetz – die Verteidigung der eigenen Ehre- besonders gerne zitiert werden.
Das 50. bis 55. Gesetz befiehlt die Mehrung von Rastullahs Ruhm und Macht. Im Gegensatz zu einem beliebten Vorurteil schützt den erobernden Novadi keine besondere Jenseitsverheißung. Der Novadi muß die Angst vor dem Tod überwinden und bereit sein, seinem Gott das größte Opfer zu bringen.
Ab dem 62. Gesetz wird in göttlicher Voraussicht der Umgang mit Ungläubigen geregelt, insbesondere der Umgang mit den Frauen der Ungläubigen. Das 67. und 68. Gesetz behandelt ausdrücklich die Anbeter der Gottechse, die dereinst das Stammgebiet der Novadis beherrschen.
Ab dem 77. Gesetz widmet sich die Offenbarung fast ausschließlich der körperlichen und geistigen Ertüchtigung des Novadis, wie etwa durch den Ringkampf (80. bis 83. Gesetz), das Gebet, das Meiden jeder Magie, oder das Bemühen stets alle Gesetze im Geiste zu haben (99. Gesetz).
Interessanter Weise gibt es kein Gesetz, das dem Novadi das Lügen, in welcher Form auch immer, verbietet.

Allgemeines Einverständnis herrscht auch über den novadischen Kalender, wie er in den ersten fünf Gesetzen niedergelegt ist. Für den Ungläubigen sorgt der Kalender leicht für große Verwirrung, da er sich weder mit 30-Tage-Monaten der Mittelländer noch mit der Rechnung nach Monden und Wochen verträgt. Neujahrstag ist der 23. Boron, an dem sich Rastullahs Erscheinen jährt. Das Jahr wird eingeteilt in 40 Gottesnamen zu je 9 Tagen. Die verbleibenden fünf der 365 Tage werden als besondere Feiertage, Rastullahellah genannt, nach jedem achten Gottesnamen eingefügt.
Somit sind auch die wichtigsten Feiertage – und wie viele Novadis meinen, auch die einzigen, die sie feiern dürfen – festgelegt.
Der `Erste Rastullahellah` findet am 5. Tsa statt. Getreu dem 6. Gesetz versuchen die Novadis, ihrem Gott nahe zu kommen. Es ist ein allgemeiner Fastentag, oft verschärft durch freiwilligen Aufenthalt in der Wüste. Manche lassen sich gar bis zum Hals eingraben oder entleiben sich selbst um ihren Gott nahe zu sein.
Der `Zweite Rastullahellah` am 18. Peraine legt besondere Betonung auf Treue, Loyalität und Schwüre. Novadis schwören, indem sie einfach Rastullahs Namen ausrufen. Zumindest für ein Jahr sind sie dann an ihren Schwur gebunden. Traditionellerweise findet – kurz nach Ende der Regenzeit und der Aussaat – der Aufbruch aus dem Winterlager statt.
Der `Dritte Rastullahellah` am 1. Tag des Namenlosen ist eher unbedeutend. Er wird jedoch gerne als Tag der Blutrache genützt. In der mörderischen Sommerhitze brechen junge Männer auf, um das Ziel der Blutrache oder Ungläubige zu einem Zweikampf zu fordern.
Der ´ Vierte Rastullahellah` am 9.Efferd fällt in die schwere Arbeit der zweiten Regenzeit. Er ist ein willkommener Ruhetag, an dem sich die Männer bei stillen Gebeten und einer Pfeife Cheriacha entspannen; vor allem die letzte Pfeife bei Sonnenuntergang wird traditionellerweise besonders zelebriert.
Der `Fünfte Rastullahellah` am 22. Boron schließlich ist der höchste Feiertag. Meist wird vom Jahresende über Rastullahs Erscheinen bis zum zweiten Tag des Neuen Jahres durchgefeiert – der einzige Zeitpunkt, bei dem man Novadis ausgelassen und fröhlich sehen kann. Bei Tanz- und Gesangsvorführungen, Reiterspielen und – für ihre Verhältnisse – üppigen Gelagen vergnügen sich auch die härtesten Wüstenräuber. Auch die Hairan-Wahl findet traditionell an diesem Feiertag statt.

Bekanntlich kennen die Rastullah-Gläubigen keine Priester, jeder Novadi ist aufgerufen, das Wort seines Gottes zu verkünden und neue Gebiete für ihn zu erobern. Dennoch kennen sie religiöse Autoritäten in Gestalt der Mawdliyat und der Heiligen Männer.
Die Heiligen Männer sind Eremiten, die sich meist in die Wildnis – sehr häufig in Höhlen – zurückziehen, um dort ein Leben zu führen, bei dem sie gegen keines der 99. Gesetze verstoßen. Sie werden üblicherweise am `Fünften Rastullahellah` besucht und um Rat gefragt. Dies geschieht stets in ritualisierter Form: Die Fragen werden eingeleitet mit „Meister, oh sage uns ....“ – der Heilige Mann antwortet ebenso salbungsvoll: „Höret meine unbedeutenden Worte ...“
Die Novadis haben eine gewisse Scheu davor, diese Männer auch zu anderen Zeiten aufzusuchen, wissen sie doch, daß sie damit deren Bemühungen um Abgeschiedenheit zunichte machen. Es ist jedoch üblich, daß die Frauen des nächsten Stammes Nahrung und zuweilen auch Kleidung in der Nähe des Wohnortes des Heiligen Mannes deponieren, um ihm so sein Leben zu ermöglichen.
Die Mawdliyat dagegen sind Religionslehrer, die sich mit der mündlichen und schriftlichen Auslegung der Gesetze beschäftigen. Der Titel eines Mawdli ist aber keineswegs ein offizielles Amt. So gibt es durchaus Gelehrte, die “zur Belehrung, Schriftauslegung und Erbauung“ berufen werden – häufig sogar für Geld oder zumindest angemessene Kost, Unterkunft und Kleidung. Gerade reiche Novadi-Händler haben im Ausland oft solch einen Lehrer oder gar einen Mawdli in ihrer Begleitung, um sie in der verwirrenden und sündigen Fremde auf den rechten Weg zu führen.

Die Bedeutung der Mawdliyat ist aus den bereits erwähnten Zwistigkeiten über religiöse Inhalte entstanden. Diese beginnen nämlich bereits bei der Auslegung der 99 Gesetze, die teilweise sehr unterschiedlich überliefert sind und vor allem das Leben der zurückgezogenen Wüstennomaden regeln, die es damals in Keft gab. Um die Gesetze an die sich rasch ändernde Lage anzupassen, bedarf es sorgfältiger Auslegung – und deshalb entstanden schon bald Rechtsschulen, in denen man sich der Zusammenstellung der Überlieferungen sowie dem streben nach korrekter Anwendung der Vorschriften auf neue Ereignisse widmete.
Je größer das Reich des Kalifen wurde und je mehr Ungläubige es umfasste, desto mehr gewann die richtige Interpretation an Bedeutung, und desto deutlicher traten die Unterschiede zwischen den führenden Rechtsschulen hervor.
Die älteste ist naturgemäß die Schule von Keft, die stets für ihre strenge Auslegung der Gesetze bekannt war:
“Und fragt ihr, weshalb uns der Herr Rastullah seine Gesetze gab? Er tat es ,um uns abzugrenzen von jenem unwürdigen Gewimmel der Gottlosen und Ungläubigen, die vor Geistern und Dämonen auf dem Bauche liegen und den Dreck des Bodens schlucken. All ihr Gerede von zwölf Göttern und urzeitigen Götterkämpfen ist wie das Stammeln des Wahnsinnigen, der die Schwingen der Wüstenfledermaus spürt – denn außer dem Herrn Rastullah gibt es keinerlei Götter, sondern alles ist Dämonengezücht und Menschengespinst. Wir sind die Beni Novad und dienen dem Herrn der Schöpfung, der uns zu seinen Dienern erwählte, um all jene zu strafen, die seinen Willen missachten und seine Herrschaft leugnen.
Wenn wir nach seinen Gesetzen leben, wie er sie uns wörtlich übermittelte, wird uns zuteil werden der Sieg über die Gottlosen, wenn wir aber jenen Sündhaften folgen, die Anpassung und Überarbeitung der göttlichen Offenbarung predigen, wird uns der Herr Rastullah davon wischen von seiner Schöpfung wie der Sturm hinwegfegt den Grünen Heukäfer. Deshalb wisset: Als der Herr Rastullah seine Gesetze formulierte, gab er bei jedem Wort seine göttliche Gnade hinzu, auf daß es in seiner göttlichen Gewalt nicht den Menschen zerschmettere. So wisset denn auch, daß man diese Gesetze wörtlich zu befolgen hat und keine Aufweichung durch Menschengeist zulassen darf. Denn bleiben wir streng zu unseren Pferden, unseren Sklaven, unserem Vieh und unseren Frauen, wird der Herr die Ungläubigen ausliefern, auf daß wir sie hinabschicken in die Niederhöllen – dort aber wird man sie verbrennen, erwürgen, neunteilen, schinden, ....“ (Es folgen 23 weitere Hinrichtungsarten).
(Ruhollah Marwan al-Hendj, Hoher Mawdli zu Keft)

Heute ist die Kefter Schule nicht mehr so mächtig wie ehedem, was ihren Einfluss auf höchste Stellen im Kalifat angeht – wenn auch keiner es wagen würde, das offen auszusprechen. In der Khom allerdings folgen auch heutzutage noch viele der fanatischen und strengen Auslegung der 99 Gesetze.

Nach den ersten Eroberungen bildete sich aus den Beratern der Kalifen die Unauer Schule mit ihrem Hauptwerk “Also sprach Rastullah“. Ihr Kennzeichen ist der frühe Versuch, die Zwölfgötter der unterworfenen Szintaui in das Glaubensgebäude einzufügen, indem man sie zu niederen Geistwesen erklärt und Rastullah in die nähe Los` rückt. Bekannt wurde sie auch durch die großzügige Auslegung des 16. Gesetzes, das den Verzehr von allem verbietet, “was lange Ohren und eine Schuppenhaut trägt und was im Wasser lebt“. In jüngerer Zeit hat die Unauer Schule entschieden, daß man Ungläubigen direkt ins Gesicht blicken darf, wenn auch mit der nötigen Mimik: `Strafend blicken wie ein Novadi` ist zum geflügelten Wort geworden.

Neben diesen zwei “offiziellen Schulen“ gibt es auch solche, die eher abwegige Ideen vertreten und nur wenig weltlichen Einfluss genießen; man findet sie vor allem am Rande des Kalifats.
Extrem urtümliche Ansichten hegen die Vertreter der Schule von Fasar: Dort, in der ältesten Siedlung der Tulamiden, glaubt man an die Identität Rastullahs mit dem uralten Stammesheros Raschtul!
“ Ist es nicht offenbar, daß Rastullah Seine Hand über das ganze Volk der Tulamiden hält? Hat Er nicht bereits die meisten seiner Glieder unter Führung der Kalifen versammelt?
So lehre ich Euch: Schon vor Äonen lebte Rastullah unter den Menschen und schützte die Beni Tulam vor allen Feinden. Hat Er damals nicht den gebirgigen Schutzwall aufgeschüttet, der Seinen Namen trägt? Hat Er nicht Seine Söhne hinabgeführt in das Tal des Mhanadi, auf daß sie gut leben konnten?
Als alles wohlgeraten war, legte er sich hin und verließ Seinen irdischen Körper, um Seinen Geist über alle Beni Tulam zu ergießen. Und schützte Er nicht weiterhin sein Volk?
Hat Er nicht seinen eigenen Sohn Bastrabun geschickt, die Echsen zu zerschmettern?
Doch zuvor hatte Er verheißen, in Stunden der Not werde er zurückkommen. Und ist er nicht einem Stamm der Beni Tulam erschienen, angetan mit Seiner ganzen göttlichen Würde? Hat Er Seine Verheißung nicht eingehalten?
So sage ich Euch: Der Tag der göttlichen Herrschaft wird anbrechen, wenn alle Tulamiden vereint sind in einem Reiche und alle Eindringlinge zurückgeworfen in das Meer aus dem sie kamen – dies ist die einzige Aufgabe dessen, der sich Kalif nennt, den Herrscher ist allein Rastullah!“
(Der Fasarer Prophet Aytan)

Vorgebracht in einem Machtzentrum des Kalifates, hätte eine solche Predigt gewiss Aufruhr und den raschen Tod des Redners zur Folge – in Fasar aber, der Stadt ohne Herrscher, darf man solcherlei predigen und sogar auf einigen Erfolg hoffen.

Zuletzt könnte man noch die Selemer Schule erwähnen – auch wenn dieser Ausdruck mehr zum allgemeinen Synonym für “verrückt“ geworden ist. Gelehrt wird nämlich ein Konzept, das allen gültigen Ansichten über die Natur der Welt widerspricht:
“Nun mag es vielleicht stimmen, daß dieser Rastullah einst die Welt erschuf. Wer kann das wissen, schließlich ist das lange her und es gibt keine Unterlagen. Dass er sich dann aber lange zurückzog, stimmt sicher, denn es ist keine Ordnung mehr in der Welt. So konnte es auch geschehen, daß einige Dämonen die Welt betraten und sich als Götter verehren ließen... Das heißt, vielleicht die Menschen sie auch gerufen – wer weiß?
Ich vermute, daß schließlich ein Hohes Wesen in unsere Sphäre kam, kein ordentliches Volk mehr fand und keinen Platz bei den anderen Göttern und sich deshalb zum Eingott erklärte – ja genau, damals in diesen Wüstennest Keft.
Ob man Rastullahs Gesetze halten soll? Nun, da bin ich entschieden dafür: Wenn man sich anschaut wie sich seine Jünger über die halbe Welt ausgedehnt haben, muß er wohl sehr mächtig sein, und wenn er Freude hat Gesetze zu erlassen, ... Das machen die Fürsten anderswo auch immer gern.“
(Abudar ibn Dhersa, “Mawdli“ zu Selem)

An jedem anderen Ort im Kalifat wäre ein derartiger “Gelehrter“ ohne Federlesens unverzüglich als Ketzer verbrannt worden – doch in der verrückten Stadt Selem kann man anscheinend selbst die Götter zutiefst lästern und der Strafe entgehen.

Auch die Orte der Verehrung Rastullahs unterscheiden sich von denen anderer Götter. Bethäuser des Eingottes sind keine Institutionen, die von einer Priesterschaft geführt und von tributpflichtiger Bevölkerung erhalten werden. Vielmehr sind sie einfache Gebäude, die von reichen und mächtigen Novadis gestiftet wurden, damit sie auch anderen als Bethaus dienen. Für die meisten Bethäuser wird ein Verwalter bestellt, manchmal sogar ein Mawdli; ab und zu finden sich auch gläubige Söldner, die Bewachung und Schutz des Bethauses übernehmen. Die Erhaltung des Hauses und seiner Insassen bleibt stets dem Stifter überlassen. Nur die wenigsten Novadis würden so ein Bethaus durch eigene Opfergaben unterstützen.
Auch Rastullah selbst wird keineswegs mit Geschenken überschüttet: Was sollte er mit all den Dingen anfangen, die er selbst erschaffen hat? Häufig sind jedoch Votivtafeln, Statuen und ähnliche Widmungen, mit denen Novadis Rastullahs Gunst in der Stunde der Not oder während ihres ganzen Lebens preisen.
In den Bethäusern findet sich auch fast immer ein heiliges Bild Rastullahs, das vom Stifter aufgestellt wurde. Typisch für die Darstellung Rastullahs ist es, daß der Gott niemals in seiner Gesamtheit gezeigt wird ( die der Mensch in seiner Erdgebundenheit nicht begreifen kann), sondern sich nur Abbildungen einzelner Körperteile finden. So findet man in einem Bethaus eine goldene, spendend geöffnete Hand, in einem anderen eine mit Edelsteinen besetzte Spirale, die eine Locke von Rastullahs Haupt darstellt, in einem anderen einen tropfenförmigen Diamant, der als eine Träne des Eingottes betrachtet wird. Seit den ersten Kalifen nehmen diese in Anspruch, daß nur in ihrem Bethaus ein Standbild stehen darf, welches das Antlitz Rastullahs zeigt.

Neben der hochtheologischen Diskussion über das Wesen Rastullahs findet sich noch allerlei Volksgut rund um den “Gott der Götter“. Unausrottbar hält sich etwa die Vorstellung von den Neun Frauen Rastullahs, auch wenn keine Überlieferung der Göttlichen Offenbarung sie erwähnt. (Warum auch sollte ein Gott über etwas so Unwichtiges wie Frauen reden?) Die verbreitetste Liste der Neun liest sich folgendermaßen:
“Hellah ist die erste Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am ersten Tag. Sie war vor langer, langer Zeit eine sehr mächtige Herrscherin und Magierin in den Ländern des Westens, doch auch die Länder des Kalifates suchte sie heim mit Gewalt und Zauberei.
Schließlich aber wurde es dem Herrn zuviel und er sandte seine Diener Sonne und Sturm, Feuer und Wasser, die böse Hellah zu fangen. So geschah es, und nun ist die einstige Sultani die Dienerin Rastullahs, der sie straft für ihre Taten, wenn er zu ihr kommt mit Ungestüm und all seiner Kraft. So ist sie denn ständig ergrimmt und schickt dem Novadi nichts Gutes.
Orhima ist die zweite Frau Rastullahs, mit ihr hat er Umgang am Zweiten Tag. Sie ist gerecht und ehrbar und dem Herrn eine gute Hilfe beim Fällen der göttlichen Urteile. Vor Zeiten war Orhima eine kluge Wesirin, so berühmt und glänzend wie die Sonne. Ihre Urteile gingen dank der Gnade des Herrn niemals fehl und belohnten stets den Unschuldigen und straften den Sünder. So beschloss der Herr, die weise und gerechte Beraterin der Fürsten zu seiner Gemahlin zu machen. Orhima lebt heute im göttlichen Palast und erwartet den Herrn, um nach langem Liebesspiel mit ihm die wichtigsten Streitigkeiten der Welt zu beraten und ihm beim Urteilen zur Hand zu gehen.
Orhima genießt großen Einfluss auf den Herrn und hilft all jenen, die stets für Ehrlichkeit und das Recht eintreten.
Shimja ist die dritte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am Dritten Tag. Sie ist eine gewitzte Frau und steckt voller neuer Einfälle. Shimja war einst eine Sterbliche, jung und von kleiner Gestalt, doch überaus Erfindungsreich – sie ersann viele Dinge, die dem Menschen das Leben erleichterten und ihn stolz gegenüber den Mächtigeren machten. So musste der Herr Shimja zu sich holen, doch auch für ihn ersann sie allerlei Spielereien, die sein Auge erfreuten. Nun, als seine Frau, kann sie vieles erfinden und sendet allerlei Neues hinab zu den Sterblichen – am meisten aber sinnt sie auf neue Spielzeuge, die ihr die Zeit vertreiben bis zum Tag der Lust, wenn der Herr zu ihr kommt.
Shimja liebt all jene Novadis, die gerne Neues ersinnen und neuen Wegen folgen, ihnen sendet sie Hilfe und gute Einfälle.
Rhondara ist die vierte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am Vierten Tag. Sie hat ein gar wildes Gemüt und ist streitlustig wider die anderen acht, dem Herrn aber begegnet sie mit Liebe und Demut. Rhondara war einst eine tapfere Kriegerin in dem Sultanat, das man Nebachot nennt, und kämpfte gegen viele Feinde. Den Herrn erfreute der Anblick ihres schönen Körpers und ihrer Muskeln, so erschien er ihr als löwenhäuptiger Drache und holte sie auf dem Rücken einer Löwin zu sich. Auch heute noch, so heißt es, tollen der Herr und seine Gemahlin als Löwe und Löwin durch die Himmlische Wüste.
Rhondara ist dem tapferen Krieger wohlgesonnen und schickt ihm Stärke und Wagemut.
Heschinja ist die fünfte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am Fünften Tag. Sie ist eine weise Frau und klug und bedächtig und versteht dem Herrn gar wohl zu raten. Heschinja war einst eine wissensreiche Magierin und verstand sich auf alle Künste der Zauberei. Soviel wußte sie über die Magie, daß sie unsterblich und übermächtig zu werden drohte, hätte der Herr sie nicht rechtzeitig zu sich geholt. So lebt sie denn im Palast Rastullahs und hat Gesellschaft an ihrer zahmen Schlange und unzähligen Schriftrollen über das Wesen der Welt, doch viel mehr Freude, Befriedigung und Erfüllung gewährt ihr der Herr, wenn er zu ihr kommt.
Heschinja schätzt jene, die bereits großes Wissen haben, und sendet ihnen Weisheit und neue Kunde.
Dschella ist die sechste Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am Sechsten Tag. Sie ist die jüngste der Neun und wankelmütig – stets gehorcht sie ihrem Gefühl und wenig der Einsicht. Einst gewann sie die Gunst des Herrn durch ihr frohes und offenes Wesen, mit dem sie alle zu verzaubern verstand. Sie tanzte überall im Land der Ersten Sonne und selbst an heiligen Stätten, so fröhlich war ihr Sinn – der Herr lohnte es ihr, indem er sie zu sich holte, auf daß sie sein Gemüt erfreue.
Dschella mag all jene, deren Geist auch den Wert der Heiterkeit kennt, ihnen schickt sie Freude und Genuss.
Marhibo ist die siebte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am Siebten Tag. Sie ist still und ernst und denkt viel an die Tage, die da vergangen sind – denn sie war einst die Tochter eines Fürsten des Landes der Morgenröte, doch der Herr sandte ihr den Tod. Erst als sie auch den Boten der Todes mit ihrem stillen Liebreiz erfreute, nahm der Herr sie zu sich und machte sie zu seiner Gemahlin. So wohnt sie denn in seinem Serail und gedenkt der längst dahingegangenen Verwandten und Freunde, die meiste Freude aber beschert ihr der Herr, wenn seine Liebe sie alles vergessen macht außer der Gegenwart seiner starken Arme.
Marhibo achtet jene, deren Sinn gerichtet ist auf die Vergangenheit, doch liebt sie niemanden denn den Herrn und sendet keinem ihre Gunst.
Khabla ist die achte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Umgang am Achten Tag. Sie ist lüstern und liebestoll und versteht es den Herrn stets mit ihrem Können zu entzücken. Sie war einst eine Hirtin im Lande der Khom und überaus schön von Angesicht und Gestalt, so daß alle Männer und viele Frauen nach ihr verlangten. Eines Tages verfolgte die Pferdedämonin Rasha die junge Hirtin und bedrängte sie mit ihrer Gunst – der Herr rettete die junge Hüterin der Tiere und nahm sie zu sich, doch seitdem ist ihr verlangen nach heißem Fleisch geblieben und der Herr bereitet ihr großer Entzücken, wenn er sich ihr naht.
Khabla ist allen hübschen jungen Männern und Frauen wohlgesinnt und schickt ihnen Schönheit, auf daß die anderen Völker sie beneiden und begehren.
Amm el-Thona ist die neunte Frau Rastullahs, mit ihr hat er Umgang am Neunten Tag. Sie ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und so schön und grausam wie die Sonne. Einst war Amm el-Thona eine gewaltige Sultanin im Kalten Norden, doch ihr Herz verzehrte sich nach der Wärme der Sonne. So zog sie denn mit ihrem ganzen Hofstaat in die Khom und brachte sich selbst als Opfer – und der Herr erhörte sie und machte sie zu seiner Frau. Nun lebt sie in seinen Gemächern und erfreut sich der Wärme des Herrn, wenn er sich ihr huldvoll zugesellt.
Amm el-Thona ist hochmütig und hart und behandelt alle Sterblichen mit dem Gleichmut der Sonne.“
`Hof-Almanach unseres Gottes Rastullah`

Aufmerksame Leser werden sicherlich bemerkt haben, daß in der Aufzählung von Rastullahs Frauen etliche Göttinnen aufgenommen wurden. Auch die Unauer Schule erlaubt es durchaus andere Götter als existent zu akzeptieren; bei sehr großzügiger Auslegung spricht sogar nichts dagegen, auch diese Gottheiten zu verehren – solange man Rastullah als Schöpfergott anerkennt, der so weit über jedem anderen Gott steht wie dieser über einem Menschen.
Die Verehrung Rondras etwa vertrug sich von Anfang an bemerkenswert gut mit der Rastullahs. Auch unsere Verlässlichste Quelle über Rastullahs Erscheinung stammt von einem Rondragläubigen. Gerade in Fasar und Mhanadistan sehen viele Krieger nichts Verwerfliches darin, Rondra wenn nicht als Göttin, so doch als Schutzherrin der Kriegerehre zu huldigen und zuweilen wird sie eben als eine der neun Frauen des ‘Löwen des Himmels‘ betrachtet.
Die meisten anderen Gottheiten jedoch werden höchstens als mächtige Geister verstanden. So kennt die Novadis den bockleibigen Lev’tan als den Dämon der Versuchung, der den Gottgefälligen am achten Tag zur Unzucht anstiften will.

Die Novadis glauben fest daran, daß ihr Gott ihnen auch in alltäglichen Fragen Fingerzeige gibt – zum einen durch die Worte seiner 99 Gesetze, zum anderen durch natürliche Erscheinungen, die nur noch richtig gedeutet werden müssen. So existiert ein vielfältiges Wahrsagerwesen, teils durch die Heiligen Männer des Rastullah, teils durch andere Weise. Sehr häufig ist etwa die Vogelschau: Alle Novadis achten auf den Flug bestimmter Vogelarten – vor allem natürlich jener, die durch die Speisegebote ausgezeichnet sind – und versuchen, den Willen des Gottes herauszulesen. Einer der bekanntesten Weissprüche etwa ist: “Wenn der Geier gen Keft fliegt, so bereite alles für deinen Sohn, wenn der Geier von Keft kommt, so folge dem Willen deines Vaters.“ Solche Sätze eignen sich natürlich einen geheimen Sinn darin zusuchen – und ihn nachträglich sogar bestätigt zu sehen.
Die novadische Sterndeuterei ist eng mit dem Rastullah-Glauben verbunden. Die Hauptrolle spielen die acht Planeten und die Sonne, die alle einem der neun Tage eines Gottesnamen zugeordnet sind. Auch mit den neun Frauen Rastullahs bestehen deutliche Querverbindungen.
Ebenso beliebt ist das Lesen in den Schlieren auf dem Boden eines Dattelweinbechers, wenn man etwas über den Trinkenden herausfinden will, Genauso vertritt man die Ansicht, daß das Leben eines Menschen in den Adern seines Augapfels vorgezeichnet ist.

Kleidung

An einem so lebensfeindlichen Ort wie der Wüste kommt der Kleidung natürlich eine besondere Schutzfunktion zu: Tagsüber brennt die Sonne so unbarmherzig, daß es lebensgefährlich sein kann, sich ohne Kopfbedeckung im Freien aufzuhalten, die Nächte hingegen sind oft bitterkalt. Dazu kommt der fast ständige Wind, der feinen Sandstaub mit sich führt und es notwendig macht, Nase und Mund zu schützen und zu bedecken.
Auch bringt die Wüste nicht viele Fasern hervor, aus denen man Stoffe fertigen kann, und darum ist bei den Nomadenstämmen Wolle, meist Kamelhaartuch, die Hauptgrundlage der Kleidung.
Wohl ähneln sich die Gewänder aller Novadis in Art und Schnitt, was aber die Stoffe und die Verarbeitung angeht, so gibt es große Unterschiede zwischen den Kleidern der Wüstennomaden und denen ihrer Glaubensbrüder, die als Händler, Handwerker oder Lehrer in den Städten außerhalb der Wüste leben. Feines Linnen, kostbare Seide und schimmernder Samt sind den Festgewändern der reichen Wüstensöhne und –töchter vorbehalten, in Mherwed und Unau sieht man Leinenkleider weit häufiger als solche aus Wolle, und wer es sich dort leisten kann, trägt Seide und Damast vom ersten bis zum neunten Tag.
Was den Schnitt der novadischen Kleidung betrifft, so wollen wir als Beispiel die sogenannte Kefter Tracht beschreiben: Über eine einfach geschnittene Bluse werden weite Beinkleider getragen – bei den Männern unterhalb des Knies gerafft, bei den Frauen hingegen bis zu den Fesseln reichend. Die Leibesmitte ist mit einer verzierten Schärpe umwunden, unter die auch die Dolche und Krummsäbel geschoben werden. Die Frauen tragen diese Schärpe gern ein wenig tiefer, so daß sie die Üppigkeit der Hüften betont und den wiegenden Gang aufs Köstlichste unterstreicht.
Sein Haupt schmückt der Novadi mit einem zum Turban gewundenen Tuche, wobei seine gesellschaftliche Stellung über die Länge der Stoffbahn entscheidet. Frauen dürfen keinen Turban tragen; sie putzen sich stattdessen mit bunten Kopftüchern heraus, welche vorn mit Glasperlen oder Goldplättchen verziert sind. Eine kurze, ärmellose oder langärmelige Weste rundet die Kefter Tracht ab; auf diese Weise sind die meisten Novadis gekleidet, wenn sie sich innerhalb ihrer Zelte oder Häuser befinden.
Im Freien tragen sowohl Männer als auch Frauen häufig einen Gesichtsschleier, der Mund und Nase vor dem sandigen Wüstenwind schützt. Um Kopf und Schultern wird ein großes Tuch geschlungen, dem bei den Männern ein kleiner Turban Halt verleiht, wohingegen die Frauen ein besticktes Käppchen von der Form eines flachen Zylinders darüberstülpen. Bei Ausritten in die Wüste schließlich wird der Silham getragen, der den ganzen Körper bedeckt, und dessen Kapuze – Turban und Wickeltuch werden noch darüber getragen – auch im Sandsturm schützt.
Ist der Kleidung aller Novadis eine gewisse Üppigkeit und Fülle und der lockere Sitz gemeinsam, so unterscheiden sich die Gewänder der einzelnen Stämme doch voneinander: Am Rand der Amhallassih-Kuppen bevorzugen die Männer sich nach unten verjüngende Beinkleider, in Birscha und Schebah tragen die Frauen knielange, weitschwingende Röcke über ihren Pluderhosen, und die Krieger des Shadifs kleiden sich in wattierte, längs oder rautenförmig gesteppte Jacken, um nur einige Beispiele zu nennen.
Den Gesichtsschleier findet man gelegentlich auch bei den Novadifrauen außerhalb der Wüste. Hier hat er sich jedoch, seiner Schutzfunktion enthoben, zum reinen Zierrat gewandelt: So fein ist der Stoff, daß er das Gesicht der Trägerin kaum verhüllt, aber ihren Zügen den Zauber des Geheimnisvollen verleiht. Trifft man außerhalb der Wüste auf dicht verschleierte Novadis, so handelt es sich hierbei um besonders strenge und glaubenstarke Männer und Frauen, die keinem Ungläubigen gestatten würden, ihr Antlitz zu betrachten.
Schmuck wird bei den Novadis fast nur von Frauen getragen – zumeist aus Gold gefertigt, seltener aus Silber, bisweilen aus einfachen Glasperlen, aber immer aufs Feinste verarbeitet: zierliche Finger- und Nasenringlein, Fußkettchen mit klimpernden Münzen daran, klirrende Arm- und Halsreifen und prächtige Spangen und Ohrgehänge aus Filigran.
Bei den Männern schmücken nur der Hairan und solche, die über ihm stehen, ihren Turban mit einem in Gold gefassten Stein als Zeichen ihres Ranges. Goldene Fingerringe mit Adamanten oder anderen kostbaren Steinen tragen nur Sultane oder Kalifen.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch die Sitte mancher Stämme, Zaumzeug und Brustgurt ihrer Pferde mit Schmuck zu behängen. Meist sind dies geometrische Figuren aus gestanztem Goldblech, Kreise, Halbkreise, Dreiecke, Rauten und dergleichen, denen eine schwer verständliche Zahlensymbolik zugrunde liegt, basierend auf denjenigen der 99 Gesetze, in welchem Pferde erwähnt werden. Zudem “Pferde und Frauen sind der kostbarste Besitz eines Novadis, und beide sollen gehorsam, fruchtbar, schön und mit Schmuck behängt sein.“ (Aus dem Kommentar des Shabob al-Hillhil zum 42. Gesetz).
Ist die Novadische Alltagstracht eher schlicht und zweckentsprechend – wenn sie auch bei manchen reicheren Stämmen durch eingewebte Muster, Stickereien, Fransen, Troddeln und dergleichen des Hübschen und Schmucken durchaus nicht entbehrt – so suchen die Festgewänder der Wüstenkrieger an Farbigkeit und Pracht ihresgleichen. Wir wollen hierzu ein paar Verse aus dem “Lied von der schönen Braut“, einem achtzehnstrophigen Kinderlied, zitieren. Nach etlichen Versen, in denen die Schönheit der Braut gepriesen wird – ihre helle Haut, die Üppigkeit ihrer Formen, die Geschmeidigkeit ihrer Glieder, die kuhäugige Sanftmut ihres Blickes – folgt eine ausführliche und wortreiche Beschreibung ihrer Untergewänder – weiß wie Salz – die wir hier übergehen können. Dann heißt es:

Ihr Beinkleid ist aus Seidentaft
Von üppig weitem Schnitt,
und an den Fesseln ist’s gerafft,
und rauscht bei jedem Schritt.

Die Bluse aus Thaluser Seide
Ist fein wie Flor gesponnen
Und golddurchwirkt, und wie Geschmeide,
so glänzt sie in der Sonnen.

Die Weste ist von Kefter Samt,
mit Stickerei verziert.
Die Schärpe, die aus Khunchom stammt,
den schlanken Leib umschnürt.

Und blaue Schuhchen zieht sie an
Mit eingerollten Spitzen,
mit Bommelchen und Perlen dran,
die in der Sonne blitzen.

Nun folgen einige Verse über das Kämmen und Frisieren der Braut – wie ihr rabenschwarzes Haar zu einem kunstvoll verschlungenen Zopf geflochten wird. Über den Schmuck heißt es weiter:

Die Krone setzt sie auf den Kopf-
Ein reich geschmückter Reifen.
Und Sulibeths blauschwarzen Zopf
zier’n gold’ne Bänderschleifen.

Und ihre Ringe sind von Gold,
und golden ihre Spangen,
und an den zarten Öhrchen hold
gold’ne Geschmeide prangen.

Die nächsten Strophen handeln von den Sorgen der Braut, ob sie wohl ihrem zukünftigen Eheherrn gefallen werde. Durch sorgfältiges Schminken versucht sie ihre Schönheit zu verstärken; in dieser Kunst werden bei den Novadis schon die kleinen Mädchen unterwiesen. Besonderes Augenmerk legt sie auf das Färben der Zehen, der Fingerspitzen und des Nabels mit rotem Hannilsud. Das Lied endet:

Die Kohlenaugen schwarz umrandet,
das Mündchen wie Korallen –
so schön geschmückt und schön gewandet
wird dem Gemahl sie wohl gefallen.

Poesie und Musik

Da die novadische und arabische Poesie, ihre Lieder und Tänze gleichen Ursprungs sind, haben sich bis heute viele Gemeinsamkeiten erhalten. Aber der unterschiedliche Glaube dieser beiden Volksgruppen hat ihre Lebenseinstellung, ihr Naturell, ja selbst ihr Seelenleben so stark geprägt, dass Wirkung und Bedeutung ihrer Künste recht verschieden voneinander sind.
Der Novadi ist ernst und streng. Sein Glaube und das harte Leben als Wüstennomade lassen wenig Raum für Scherz, Leichtigkeit und Frohsinn. Löst er sich aber aus dem Alltag, sei es beim Feiern, im Rausch oder bei Gebet und Meditation, so kann sich sein Empfinden von tiefer Hingabe oder verzehrender Leidenschaft bis zu Raserei und Ekstase steigern. Und diese seelische Veranlagung findet ihren Niederschlag auch in den künstlerischen Hervorbringungen des Wüstenvolkes.
Bei den Liedern der Novadis nehmen geistliche Gesänge einen breiten Raum ein, aber auch weltlichen Liedern lauscht man gern und mit Hingabe (Wiegen- und Kinderlieder wollen wir hier vernachlässigen). Sie handeln zumeist von allgemeinen Themen: dem Lauf des Lebens, des Jahres oder Tages, der Beschreibung eines Pferdes, einer Landschaft oder Blume, und vor allem von der Liebe.
Gerade bei dem letzten Thema entfaltet sich die Lust der Novadis an wortreichen Beschreibungen und an blumiger Sprache voller Bilder und Vergleiche in besonderem Maße: Da werden der Nabel der Geliebten als Kelch voller Süße beschrieben und ihre Brüste als leuchtende Kuppeln, ihre Augen gleichen Brunnen, die nach Regen dürsten in der Zeit der Dürre, ihre Lippen werden mit blutbetauten Säbeln verglichen und ihre Zähne mit Perlen auf der Schnur oder Zicklein auf der Weide.
Novadische Liebesgesänge versetzen die Zuhörer oft in einen Gemütszustand, bei dem Leidenschaft und Sehnsucht, Trauer und Gier aufs Seltsamste vermischt sind.
Dies rührt aber gewiss nicht nur von den Worten her, sondern hängt ganz entschieden mit der Art des Vortrages zusammen. Bei den Novadis steht dem Sänger häufig nur ein Dabla-Trommler zur Seite, der den Vortrag rhythmisch unterlegt und akzentuiert. Und wie seltsam ist doch der Gesang! Dem Fremden mag er näselnd und monoton erscheinen, kunstlos womöglich, da er nicht viele Töne umspannt, die hohen und die tiefen meidet und die wenigen in der Mitte aufs Sonderbarste zum Schluchzen und Vibrieren bringt. Aber je länger er zuhört, desto weniger wird er sich dem Bann des Gesanges entziehen können, und falls er nicht schon einmal eine Kabasflöte gehört hat, so wird er vielleicht finden, dass die Stimme des Sängers dem Klang dieser Flöte gleicht und eine hypnotische Kraft hat, die ihn Stimmung und Gefühle des Liedes begreifen lässt, auch wenn er die Worte nicht versteht.
So nimmt es denn nicht Wunder, dass gute und hochgeschätzte Sänger bei den Novadis nicht sehr häufig sind, denn diese Art des Singens kann nicht jeder lernen, und auch wer die Gabe dazu hat, muss lange Jahre üben, um seine Stimme zu vervollkommnen.
Das folgende Lied gehört eigentlich zu der Gruppe der geistlichen Gesänge, wird aber, da kein Gebet im strengen Sinne, selten in einem Bethaus vorgetragen: In den Zelten der Frommen ist es jedoch an manchen Rastullahellah zu hören.

Sehet das Band der Dünen im Schimmer der sinkenden Sonne,
rötlich beschienen die eine, und bläulich die andere Seite.
Labsal sind sie dem Auge, Trost dem Herzen und Wonne,
wie sie wie leuchtende Wellen sich hinzieh’n in endloser Weite.
Aber der nächtliche Sturm verändert die lieblichen Hügel:
Fahlgraue Ketten erheben sich dräuend im Frühlicht;
und der Pilger nach Keft ergreift verzweifelt den Zügel,
wenn der Huf seines Pferdes hilflos in treibenden Sand bricht.

Sehet den Wüstengalan in der Pracht seiner goldbunten Federn,
wie er sich putzt und stolziert als ein schöner und brünstiger Freier,
wie er die Blutotter jagt im schützenden Schatten der Zedern,
wie er ein Nest scharrt im Sande für die gesprenkelten Eier.
Aber die grausame Glut der Sonne versengt das Gelege,
und von den wolligen Küken wird keines das Tageslicht schauen.
Sinnlos des Vogels Bemühen, all seine Hege und Pflege,
doch er wird Jahr über Jahr wieder die Nestmulde bauen.

Die nächste Strophe handelt von einem edlen Pferde, dem Stolz des Novadi: mutig, klug und folgsam – so wird es beschrieben; aber der Vers endet so traurig, dass er nur selten gesungen wird.
Die vierte Strophe preist ein schönes Mädchen, die Blume der Oase; aber nur einen Wimpernschlag später sehen wir sie, wie sie als zahnlose Bettlerin in der Fischerstadt von Unau die dürre Hand ausstreckt nach einen Almosen.
Die letzte Strophe besingt Dünen, Pferde, Mädchen, preist die Schönheit, die ach so vergänglich ist, wie Sand in Rastullahs Hand, und endet mit einer Lobpreisung des Schöpfergottes, der alles so weise ersonnen und sinnreich beschlossen hat.

War bisher immer von novadischen Sängern die Rede, so heißt dies nicht, dass es keine Sängerinnen gibt. Aber die Wüstenkrieger scheinen der männlichen Stimme den Vorzug zu geben, auch sind Frauen starken Beschränkungen unterworfen, was die Wahl der Themen ihrer Lieder betrifft, so dass die Zahl der berühmten Sängerinnen geringer ist als die Tage zweier Gottesnamen.
Außer den üblichen arabischen Instrumenten kennen die Novadis noch die Nasenflöte, die es dem Spieler erlaubt, mit der Kehle einen zusätzlichen Ton zu erzeugen – ein höchst seltsamer Effekt.
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